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Götterdichtung 12: Das Merkgedicht von Rig

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Götterdichtung 12: Das Merkgedicht von Rig Empty Götterdichtung 12: Das Merkgedicht von Rig

Beitrag  Magiccircle Di Jan 24, 2012 7:43 pm

Der Anfang wirkt, als gäb es eine schlichte alte Göttermär zu erzählen. aber bald zeigt sich,daß wir eine Gelehrsamkeitsdichtung vor uns haben mit gag nicht so einfachen Voraussetzungen.
Das Lied hat keine >Fabel<; es schildert Zuständliche,gibt ruhende Sittenbilder: für mittelalterliche Poeten etwas außergewöhnliches. Der Antrieb war hier der,daß ein Isländer darüber sann,wie die drei Stände -Knecht,Bauern,Jarle - in die welt gekommen seien. Diesen urzeitlichen Hergang wollte er vor Augen führen. Die Farben dazu holte er aus alten Sagas wie aus der eigenen Umwelt; einiges recht Neumodische hat sich hereingestohlen: Hübsches Stilleben ist ihm geglückt,voll naturwahrer Alltagszüge; die Stabreimdichtung hat sonst nicht dergleichen. Viel lag ihm aber auch - und das ist echt isländisch - an den massenhaften Namen,d. h. Wörtern,die er ubs als scheinnamen vorsetzt. Sie vor allem geben dem Lied die Haltung des Merkgedichts /diese Bezeichnung führte es schon im Mittelalter).

1.
Einer ging,sagt man,
grüne Wege
ein kluger Ase,
kräftig und alt,
gewaltig und kühn,
der wandrer Rig.

2.
Er traf eine Hütte,
die Tür war am Pfosten;
er trat auf die Diele:
drinnen war Feuer.
Ein Ehepaar saß,
ein altes, am Herd,
Ahn und Edda,
im alten Käppchen.

3.
Guten Rat
gab ihnen Rig;
nunmehr saß er
inmitten der Bank,
ihm zur Seite die Ehegatten.

4.
Grobes Brot
brachte Edda,
hartes,schweres,
von Hülsen voll,
trug auf das Mahl
inmitten der Platte,
stellt's auf den Tisch,
im Topf war Brühe.

5.
Guten Rat,
gab ihnen Rig;
bald stand er auf,
zu Bett zu gehn:
nunmehr lag er
inmitten des Betts,
ihm zur Seite
die Ehegatten.

6.
Drauf war er dort
drei der Nächte;
nunmehr ging er
inmitten des Weges.
Nunmehr verstrichen
der Monde neun.

7.
Einen Buben gebar sie,
braun von Schmutz;
sie netzten ihn
und nannten ihn Knecht.

8.
Runzlig waren
und rauh die Hände,
schwarz wie Nägel,
nicht schön das Antlitz,
knotig die Knöchel,
krumm der Rücken,
dick die Finger,
die Fersen lang.

9.
zu wachsen begann er
und wohl zu gedeihn;
bald hub er an,
Arbeit zu tun,
Bast zu binden,
Bürden zu häufen;
Reisig schleppt er
den geschlagnen Tag.

10.
Da trat durchs Tor
die Tippelmaid,
schmutzig die Sohlen,
schwarzbraun die Arme,
platt die Nase;
man nannte sie Magd.

11
Sie saß nunmehr
inmitten der Bank;
zur Seite saß der Sohn des Hauses;
sie schwatzten und raunten
den geschlagenen Tag,
Knecht und Magd,
und machten das Bett.

12
Sie hausten behaglich
und hatten Kinder;
die Knaben hießen:
Kuhbusch, Polter,
Klobig, Krummer,
Kebser, Faulpelz,
Klotz, Knickebein,
Querkopf, Wolfsbalg,
Brummer, Dickwanst,
sie bauten Zäune,
düngten das Feld,
fütterten Schwäne,
hütteten Geißen,
gruben Torf.

13
Die Töchter hießen:
Trampel,Dicke
Kranichstelze,
Küchennase,
Fetzenschürze
und Feistwade.
Hausmagd,Hastig
und Holzstange.
Von ihnen stammt
der Stand der Knechte.

14
Es ging drauf Rig
grade Wege.
Er traf eine Halle,
die Tür war angelehnt,
er trat auf die Diele:
drinnen war Feuer;
bei der Arbeit saß
das Ehepaar.

15
Holz zum Webebaum
hieb der Mann;
sein Hemd war eng,
sein Haar vor der Stirn,
geschnitten sein Bart;
ein Schrein stand am Boden.

16
Zum Weben
war am Werk die Frau:
sie rührte den Rocken,
reckte die Arme,
trug Schmuck auf dem Kopf,
auf den Schultern Spangen,
um den Hals das Leintuch,
den Latz auf der Brust.
Zu eigen war Ätti
und Amma das Haus.

17
Guten Rat gab ihnen Rig:
(nunmehr saß er
inmitten der Bank,
ihm zur seite die Ehegatten.

18
Lockeres Brot
brachte Amma,
Käse und Butter,
im Krug war Bier,
sie stellte vor sie
volle Schüsseln,)
Kalbfleisch gab's
als köstlichsten Bissen.

19
(Guten Rat
gab ihnen Rig:)
er erhob sich bald,
zu Bett zu gehn:
nunmehr lag er
inmitten des Betts,
ihm zur Seite
die Ehegatten.

20
Drauf war er dort
drei der Nächte
(nunmehr ging er
inmitten des Wegs.)
Nunmehr verstrichen
der Monde neun.

21
Ein Kind gebar Amma,
schlug's ein ins Tuch;
sie netzten ihn
und nannten in Karl,
den frischen, roten;
er regte die Augen.

22
Zu wachsen begann er
und wohl zu gedeihn;
er schmiedete Schare,
Scheunen baut er, zähmte Ochsen,
zimmerte Häuser,
schuf Lastwagen,
lenkte den Pflug.

23
Sie holten heim
die Herrin der Schlüssel
in Geißenpelz
und gaben sie Karl,
Schnur hieß sie, den Schleier
trug sie.

24
Sie hausten behaglich
und hatten Kinder;
die hießen Hölder,
Hausmann und Schmied,
Bauer Plüger,
Bonde, Steilbart,
Breit, Garbenbart,
Busch, Degen, Mann.

25
Mit andern Namen
aber hießen:
Maid, Braut, Muntre,
Mädchen, Stolze,
Frau, Weib, Tochter,
Tüchtige, Sittsam. Von diesen stammt
der Stand der Freien.

26
Es ging drauf Rig
grade Wege.
Er traf einen Saal,
die Tür ging nach Süden,
die Pforte war offen,
im Pfosten ein Ring.

27
Im Innern war
der Estrich bestreut;
es saßen die Gatten,
sahn sich ins Auge,
regten die Finger,
Vater und Mutter.

28
Es saß der Hausherr,
die Sehne dreht er,
spannte den Bogen,
spitzte Pfeile;
es befaßte sich
die Frau mit dem Kleid,
strich die Ärmel,
zog straff das Tuch.

29
Hoch war der Kopfschmuck,
vorm Hals die Nadel,
lang die Schleppe,
schwarzblau das Hemd,
die Braue heller,
die Brust lichter,
der Hals weißer
als heller Schnee.

30
Guter Rat
gab ihnen Rig;
nunmehr saß er
inmitten der Bank,
ihm zur Seite
die Ehegatten.

31
Da nahm Mutter
ein gemustertes Tuch
von lichtem Linnen,
legt's auf den Tisch;
dünne Brote
brachte sie dann,
lichte ans Weizen,
legt sie auf's Tuch.

32
Hervor trug sie
volle Schüsseln,
silberverziert,
und setzte sie auf,
braunen Speck,
gebratne Vögel,
schmucke Kelche,
die Kanne voll Wein.
Sie tranken und sprachen,
der Tag verging.

33
Guten Rat
gab ihnen Rig;
dann stand er auf,
bestellte das Bett:
(nunmehr lag er
inmitten des Betts,
ihm zur Seite
die Ehegatten).

34
Drauf war er dort
drei der Nächte;
numehr ging er
inmitten des Wegs.
Nunmehr verstrichen
der Monde neun.

35
Einen Sohn gebar Mutter,
hüllt ihn in Seide;
sie netzten ihn
und nannten ihn Jarl.
Licht war sein Haar,
hell die Wange,
scharf die Augen,
dem Schlänglein gleich.

36
Zum Jünging wuchs
Jarl da auf:
schwang den Schild,
schnitzte Bogen,
spannte Sehnen,
spitzte Pfeile,
hetzte Hunde,
hob die Lanze,
saß im Sattel,
entsandte Gere,
schwang das Schwert,
schwamm durch Sund.

37
Im Walde kam,
gwandert Rig,
Rig gewandert,
Runen lehrt er,
gab seinen Namen,
nannte ihn Sohn,
verhieß zu eigen
ihm Erbgüter,
ihm Erbgüter,
alten Besitz.

38
Von dort ritt er
durch dunklen Wald,
bereifte Höhn,
bis zur Halle er kam.
Das Schwert schwang er,
den Schild hob er,
den Speer warf er,
spornte das Roß,
das Feld färbt er.
Fehde weckt er,
Krieger fällt er,
erkämpfte Land.

39
zu eigen hatt er
achtzehn Höfe:
Geld verteilt er,
er gab allen
Schmuck und Schätze,
schlanke Rosse,
schenkte Spannen,
zerschlug Ringe.

40
Feuchte Wege
fuhren Boten,
hin zur Halle,
wo Herse saß,
er hatte eine Maid,
sie hieß Erna,
mit schlanken Fingern,
schneeweiß und klug.

41
Die Boten warben
und brachten sie heim;
sie gaben sie Jarl,
sie ging im Schleier.
Sie hausten beide
behaglich gesellt,
gewannen Nachwuchs,
genossen die Zeit.

42
Kind war der ältste,
Knabe der andre,
Erbe, Erbwart,
Abkömmling, Mage,
Sproß und Sprößling-
sie sprangen ins Wasser-
Sohn,Gesippe-
saßen beim Brettspiel-
Kund hieß einer,
König der jüngste.

So wuchsen
Jarls junge Söhne,
zähmten Rosse,
rundeten Schilde,
warfen Speere,
spitzten Pfeile.

44
Jung König aber
kannte Runen,
Hegerunen
und Heilrunen;
auch konnte er
Krieger schützen,
den Sturm stillen,
stumpfen das Schwert.

45
Er stillte Feuer,
verstand die Vögel,
die See zu sänftigen,
Sorge zu lindern,
gewann die Kraft
von acht Kriegern.

46
In Runen maß er
mit Rig Jarl sich,
bewährte List
und wußte mehr:
das Recht gewann
und erreichte er,
Rig zu heißen,
und Runenkunde

47
Jung König streifte
durch Strauch und Wald,
lenkte Pfeile,
lockte Vögel.

48
Da rief die Krähe,
rastend am Baum:
>Warum jung König,
kirrst du Vögel?
Du solltest lieber
Lanzen schwingen,
Rosse tummeln,
Recken fällen.

49
Herrlich sind Dans
und Danps Hallen,
reichres Erbe
als euer Besitz
sie können wohl
Kiele reiten,
Wunden schlagen,
Schwerter prüfen.<

Anmerkungen:

2 usw. Man beachte wie immer schon die Elternpaare, uch die Bräute der drei Standesvertreter,nicht nur der von Rig Erzeugte,die ständischen Merkmale tragen! 21 >Karl< meinte eigentlich den Freien ohne Erbgut,der als Pächter,Diener,Handwerker usw. lebt. Unser Dichter gebraucht das handliche,auf Jarl reimende Wort für den grundbesitzenden Bauernstand,den er,der Zeitgenosse des entwickelten Ämteradels nicht mehr als Rahm des Volkes ansieht. 24 Hölder (eigentlich hauldr) >Erbbauer<; Bonde >Bauer,Eigensaß<. 35 Jarl hat im Norden nie einen Geburtsstand bezeichnet; einen >Adel< über den Erbbauern gab es nicht. Unser Dichter wußte,daß er vor Alters zwischen dem König und der Menge der freien Grundbesitzer die Jarle gab: aus deren >Stand< glaubte er den König herleiten zu können. Seine Jarle unterscheidet in erster Linie die kriegerische Beschäftigung,auch der Besitz höherer Weisheit durch Runen verkörpert (37, 4. 44. 46),dazu die größere Zahl von (erkämpften) >Erbgütern< (37, 8. 39, 2), 37, 5 So daß Jarl nun Rig Jarl heißt (46, 2; denn überliefert war,daß der Sohn,der erste König,den Namen Rig führte; der stellt das Lied als Erbstück vom Vater und vom göttlichen Großvater hin. 40 Herse ist der Gaulhäuptling. Der Dichter denkt sich ihn kaum niedrigeren Rangs als den Jarl. 42 Kund heißt >Sohn,Nachkomme<.(10) Der jüngste Jarlssohn der nachmalige erste König,heißt im Urtext Konungr d. i. >junger Fürstensproß<: sein Name ergibt dann die Bezeichnung der neuen Würde,konungr >König<. Es ist ein wortspielendes Gegenstück zu dem Eigennamen Caesar,der zum Standesnamen wurde. Im Deutschen ließ sich das Wortspiel nicht nachbilden. 49 Der Schluß ist verloren, aber zwei isländische Stellen,die aus der Quelle unseres Liedes gescöpft haben,erlauben eine Ergänzung.
Dan und Danp,Vater und Sohn,sind zwei dänische Kleinfürsten der vorheldischen Urzeit,Landsleute und Standesgenossen unsres >Rig Jung König<,an Landbesitz ihm überlegen. Jung-König führt Krieg mit ihnen (daraf deuten Str. 48. 49), bleibt Sieger und vermählt sich mit Dana,der Tochter Damps. Damit hat er seine Macht so vergrößert,daß er sich als erster in den Nordlanden,den Königsnamen beilegt; d.h. also,sein Eigenname wird zum Königstitel (s.o.). Von ihm und Dana stammen,die alten Dänenkönige ab,auch die Schwedenkönige,die nun gleichfalls den Königsnamen von dieser Sippe erbten. Schon die sinnvoll berechneten zeigen,daß das Ganze keine alte Volks- oder Heldensage ist,sondern ein philolgischer Entwurf gelehrter Isländer um 1200; der dänische Geschichtsschreiber Saxo zu eben jener Zeit weiß nichts davon. Altüberliefert wird der Ausgangspunkt sein: daß der Titel >König< (konungr. deutsch kuning) im Norden nicht von jeher galt (er wird aus dem Frankenreich Chlodwigs herübergekommen sein; auch den Boten war er fremd). Die Vorgeschichte mit dem Gotte Rig ist die jüngste Bekrönung des Baues,die Erfindung unseres Dichters; sie ist dem Isländer Snorri um 1230 noch unbekannt.

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