Würden Sie gerne auf diese Nachricht reagieren? Erstellen Sie einen Account in wenigen Klicks oder loggen Sie sich ein, um fortzufahren.

17. das alte Sittengedicht aus der Edda von Felix Genzmer

Nach unten

17. das alte Sittengedicht aus der Edda von Felix Genzmer Empty 17. das alte Sittengedicht aus der Edda von Felix Genzmer

Beitrag  Magiccircle Do Sep 06, 2012 9:48 pm

Sätze, die eine allgemeine Erfahrung, eine Lebensregel aussprechen, streben nach gebundener Form: die vielen Sprichwörter, die teils in Versform, teils in rhytmisch gefestigte Rede gefasst sind, sind ein Beispiel hierfür: Wieweit der germanische Süden über die zweifellos sehr alte Dichtung kleinster Massen hinausgeschritten ist, wissen wir nicht, von dem reichen Hort altdeutscher Stabreimdichtung sind uns ja nur spärliche Trümmer überliefert. Der germanische Norden hat uns aber verschiedene Gedichte bewahrt, die Gruppen solcher dichterisch geformten Lebensregeln zusammenfassen. Drei davon, das alte Sittengedicht, die Lehren an Loddfafnir und das sogenannte dritte Sittengedicht, gehören zur Eddadichtung; ein viertes, das junge Sprichwörterlied, das neben Lebensregeln auch kurze Sätze aus der Götter - und Heldensage enthält, und dichterisch nicht gerade hoch steht, zählt zur skaldischen Sippe und ist daher hier nicht aufgenommen. Das allte Sittengedicht ist ein Glanzstück der Eddadichtung. Es ist norwegische, nicht isländische Landschaft, die in der Föhre auf dem Hügel, den hölzernen Dachschindeln und dem für den Winter gesammelten Brennholz vor uns auftaucht. aus einer uralten, durch lange Überlieferung gefetigten Bauerngesittung, die von Hofdienst unnd Wikingfahrt noch nichts weiß, ist hier eine geschlossene Lebensauffassung erwachsen, die sich in kühler Sicherheit ganz auf das Diesseits richtet: Gastfreiheit und erfahrene Klugheit, Besitz und Ansehen, Wehrhaftigkeit und Voraussicht, Freundschaft un Nachkommenschaft werden gewertet, nicht minder uch das Leben selbst, aber das höchste gut, bleibt doch der Nachruhm: hier stellt sich der einfache Bauer neben den Edeling und König.
Der Eingang spiegelt eine Art Rahmenvorgang wieder. Eintreten und Empfang des Gastes. Der erste Teil lehrt weiter, wie man sich als Gast benehmen soll und was man vom Gastgeber verlangen darf. im Mittelteil folgen dann in anschauungsreicher Sprache Regeln über die verschiedensten Lebenslagen. der Schlußteil belehrt uns in steigendem Aufbau über den Wert der Lebensgüter, um in weihevollen Tönen auszuklingen

Genzmer

1: Nach allen Türen,
eh ein man tritt,
soll sorglich man sehn,
soll scharf man schaun:
nicht weißt du gewiß,
ob nicht weilt ein Feind
auf der Diele vor dir.

2:
Heil den Gebern!
Ein Gast trat ein.
Sagt, wo er sitzen soll!
Nicht behaglich hat's,
wer auf dem Holz sein Glück
versuchen soll.

3:
Feuer braucht,
wer fernher kam
an den Knieen kalt;
Gewand und Speise
der Wanderer braucht,
der übers Hochland hinzog.

4:
Wasser braucht,
wer zur Bewirtung kommt,
Tischgruß und Trockentuch,
gute Meinung,
wenn's vergönnt ihm wird,
Antwort und Aufhorchen.

5:
Witz braucht,
wer weithin zieht:
daheim behilft man sich!
Augenzwinkern
der Unkluge weckt, der bei Besonnen sitzt.

6:
Mit seinem Verstand
soll man stolz nicht prahlen.
Vorsicht befolge man;
wer weise schweigend
zur Wohnstätte kommt -
nicht trifft Unglück den Achtsamen.

7:
Der Achtsame,
der zum Essen kommt,
horcht, schaut und schweigt;
die Ohren spitzt er,
mit den Augen späht er.
der Besonnene sichert sich.

8:
Der nur weiß,
der weithin zieht
und viele Fahrten tat,
was im Innern
jeder andre hegt -,
wenn sich sein Witz bewährt.

9:
Wertere Last
trägt auf ddem Weg man nie
als starken Verstand:
er frommt dir mehr
in der fremde als Gold;
er ist der Hilflosen Hort.

10:
Wertere Last
trägt auf dem Weg man nie
als starken Verstand;
schlimmeren Vorrat
nimmt auf die Fahrt man nie
als Ältrunks Übermaß.

11:
Es gafft der Tor,
der zum Gastmahl kommt,
stottert oder ist stumm;
zutage tritt,
wenn er Trank erhält,
auf einmal seine Art.

12:
Nicht klebe man am Becher,
trinke Bier mit Maß,
spreche gut oder gar nichts;
niemmand wird
dein Benehmen tadeln,
gehst du bald zu Bett.

13:
der Gefrässige,
wenn er Vorsicht nicht kennt,
ißt sich Übelkeit an:
dem törichten Mann
wird sein Magen zum Spott,
wenn er zu Klugen kommt.

14:
Herden wissen,
wann sie heim sollen,
und gehn dann aus dem Gras;
der Unkluge
ahnt aber nie
seines Magens Maß.

15:
Reiche Frühkost
soll man zuvor geniessen,
will zum Gastmahl nun gehn;
sonst sitzt man und schlingt,
als ob man verschluckt sich hätte,
und kann fragen nnicht viel.

16:
Fragen und erzählen
der Erfahrne soll,
der gescheit erscheinen will.

17:
Erfahren heißt,
wer fragen kann
und antworten auch;
nicht lange gelingt's
den Leuten zu hehlen,
welches Sinnes sind.

18:
Der Unweise
wähnt bei allen sich,
die ihm lächeln beliebt;
nicht erkennt er's,
daß man kalt von ihm spricht,
wenn er bei Besonnen sitzt.

19:
Der Unweise
wähnt bei allen sich,
die ihm lächeln, beliebt;
deutlich wird's,
wenn zum Thing er kommt,
daß ihm der Fürsprech fehlt.

20:
Der Unweise
meint alles zu wissen,
wenn er im Winkel weilt,
er weiß nicht,
was er erwidern soll,
fragen ihn andre aus.

21:
Der Unweise,
der zu andern kommt,
halte stets sich still:
niemand merkt,
daß er nichts versteht,
wenn die Zunge er zügeln kann

22:
Viel schwitzt der Mann,
der nicht schweigen kann,
unverantwortlich aus;
rasche Zunge,
die man im Zaum nicht hält,
spricht sich oft Unglück an.

23: Alles verlacht
der elende Mann,
der von übler Art;
er weiß nicht,
was er wissen sollte.
daß er von Fehlern nicht frei.

24:
Niemand soll man
zum Narren halten,
auch wenn's zum Gastmahl geht.;
klug dünkt sich mancher,
wenn ihn keiner befragt
und er heile Haut behält.

25:
Klug heißt der Gast,
der glücklich dem andern,
der Spötter entspringt:
nie weiß genau,
wer neckt beim Mahl,
ob er nicht den Unhold uzt.

26:
Viele Männer
sind sich freundlich gesinnt,
doch beim Gelage lästern sie;
Unfrieden
weckt das ewiglich,
es hadert Gast mit Gast.

27:
Gehn soll man,
nicht als Gast weilen
stets an einem Ort:
der Liebe wird leid,
wenn lange beim andern
auf der Bank er bleibt.

28:
Gut ist ein Hof,
ist er groß auch nicht:
daheim ist man Herr,
hat man zwei Ziegen
und aus Zweigen ein Dach,
das ist besser als betteln gehen.

29:
Gut ist ein Hof,
ist er groß auch nicht:
daheim ist man Herr,
dem blutet das Herz,
der erbitten die Kost
zu jeder Mahlzeit sich muß.

30:
Viel zu früh
kam ich an viele Orte,
an andre allzu spät;
das Bier war getrunken
oder gebraut noch nicht:
stets zu Leid kommt der Lästige.

31:
Manches Mal,
lüde zum Mahl man mich ei,
wenn ich lebte von Luft,
oder zwei Keulen
hingen beim zärtlichen Freund,
wo ich eine aufaß

32:
Ich fand so gastfrei
und freigiebig keinen,
daß er Geschenke verschmäht,
oder so wenig begierig,
sein Gut zu mehren,
daß Belohnung ihm leid wäre.

33:
Mit Waffen soll man Freunde,
und mit Gewanden erfreuen,
das sieht man an siich selbst:
Geber und Vergelter
bleiben gute Freunnde,
ist ihnen günstig das Glück.

34:
Nicht Großes nur
gebe man andern,
damit man Dank verdient:
durch Brotes Bissen
und Bechers Neige
den Gefährten ich fand.

35:
Jung war ich einst,
einsam zog ich,
da ward wirr mein Weg:
glücklich war ich,
alls den Begleiter ich fand:
den Menschen freut der Mensch.

36:
Die Föhre dorrt,
steht sie frei auf dem Berg,
nicht schützt sie Borke noch Blatt,
so ist's mit dem Mann,
den alle meiden,
was lebt er länger noch.

37:
Brand brennt vom Brande,
bis entbrannt er ist,
Feuer vom Feuer lebt:
durch Mannnes Rede
wird ratklug der Mann,
doch unklug durch Abschließung.

38:
Seinem Freunde
soll ein Freund man sein
und Gaben vergelten auch:
Lachen für Lachen,,
sollen die Leute nehmen,
und Täuschung für Trug.

39:
Seinem Freunde
soll ein Freund man sein
und des Freundes Freunde auch;
doch nehmen soll man
sich nie zum Freund
seines Feindes Freund.

40:
Wenn du einen Freund hast,
dem du fest vertraust
und von dem du Gutes begehrst,
tausch mit ihm Gedanken
und bedenk ihn mit Gaben,
suche oft ihn auf!

41:
Hast du einen andern,
dem du übel traust,
und von dem du doch Gutes begehrst,
freundlich magst du sprechen,
aber Falsches sinnen,
zahlen Täuschung für Trug.

42:
Das gilt auch von ihm,
dem du übel traust,
dessen Denkart verdächtig ist:
heiter magst du lächeln
und dein Herz bergen;
das Geld sei der Gabe gleich.

43:
Heißer als Feuer
brennt fünf Tage
bei Falschen die Freundesliebe;
dann aber sinkt es,
wenn der sechdte kommt,
und alle Freundschaft zerfällt.

44:
Zum falschen Freund
geht ein Fehlweg hin,
wenn er am Weg auch wohnt;
doch zum guten Freund
führt ein grader Steig,
zog er auch fernhin fort.

45:
Mit Maß bedacht
sei der Männer jeder,
aber nicht überbedacht;
es führen die das frohste Leben,
die in vielem erfahre sind.

46:
Mit Maß bedacht
sei der Männer jeder,
aber nicht überbedacht;
denn heiter wird selten
das Herz des Grüblers,
der überängstlich ist

47: Mit Maß bedacht
sei der Männer jeder,
aber nicht überbedacht:
sein Geschick
schaue man nie,
dann bleibt sorglos der Sinn.

48:
Der Unweise
wacht alle Nächte,
denkt an dies und das;
müde ist er,
wenn der Morgen kommt,
die Sorge dieselbe ist.

49:
Des Besitzers Genuß,
den man selbst erworben,
neide man sich nicht:
oft spart man für Feinde,
was man Freunden bestimmt;
nicht immer geht's wie man glaubt.

50:
Der ist glücklich, der Gunst und Achtung
sich zu erweben weiß:
unsicher ist,
was in des andern Brust
man besitzen soll.

51:
Glücklich ist,
wer sein ganzes Leben
Achtung und Einsicht hat;
denn übel ist der Rat,
den aus des andern Brust
man häufig erhält

52:
Für alle Worte,
die man anderen sagt,
erlangt man oft den Lohn:
selbst wisse man's,
nicht sonst noch jemand,
das Dorf weiss, was drei wissen.

53: Froh lebt,
wer freigiebig und kühn,
selten quält Sorge ihn ;
Furcht hegt immer
der feige Mann,
es wurmt die Gabe den Geizhals.

54:
Der ängstliche Mann
meint ewig zu leben,
meidet er Männerkampf;
einmal aber
bricht das Alter den Frieden,
den der Ger ihm gab.

55:
Seine Macht
soll mit Maß gebrauchen
der Verständige stets:
dann findet sich's,
wenn man Furchtlose trifft,
daß keiner der Kühnste ist.

56:
Von seinen Waffen
gehe weg der Mann
keinen Fuß auf dem Feld:
nicht weiß man gewiß,
wann des Wurfspießes
draußen man bedarf.

57:
Früh soll aufstehn,
wer vom andern begehrt
Leben oder Land:
Raub gewinnt selten
der ruhende Wolf
noch der Schläfer die Schlacht.

58:
Früh soll aufstehn,
wem Arbeiter mangeln,
und eilig zur Arbeit gehn:
manches versäumt,
wer morgens schläft;
halb reich ist der Rasche schon.

59:
An Rinde für's Dach
und dürren Schindeln
bedenke man den Bedarf,
des Holzes Vorrat,
daß er hinreichen kann
drei Monat und mehr.

60:
Den Hals reckt spähend,
wenn zum Haff er kommt,
der Fischaar über die Flut;
so tut der Mann,
der in die Menge kommt,
wenn ihm der Fürsprecher fehlt.

61:
Zum Gericht reitet man
rein und gespeist,
ist auch nicht kostbar das Kleid;
nicht schäme sich
seiner Schuhe und Hosen
und seiner Mähre der Mann!

62:
Zwei Holzmännern
auf der Heide draussen
gab ich weg mein Gewand;
als die Hadern hatten,
kamen sie sich wie Helden vor:
der Nackte gilt nichts.

63:
Feuer ist wert
dem Volk der Menschen
und der Sonne Gesicht,
heiler Leib,
wer ihn behalten kann,
und daß kein Tadel ihn trifft.

64:
Ganz kläglich ist keiner,
ob auch krank er sei:
dem bringt Segen sein Sohn,
dem die Verwandten,
dem sein Wohlstand,
dem tüchtige Tat.

65:
Besser ist's lebend
als leblos zu sein:
wer lebt, kriegt die Kuh-
Feuer sah ich rauchen
auf der Reichen Herd,
doch er lag tot vor der Tür.

66:
Der Händler hütet,
der Hinkende reitet,
tapfer der Taube kämpft;
blind ist besser
als verbrannt zu sein:
nichts taugt mehr, wer tot.

67:
Ein Sohn ist besser,
ob geboren auch spät
nach der Hausherrn Hingang:
nicht steht ein Denkstein
an der Straße Rand,
wenn ihn ein Gesippe nicht setzt.

68:
Besitz stirbt,
Sippen sterben,
du selbst stirbst wie sie;
doch Nachruhm
stirbt nimmermehr,
denn der Wackre gewinnt.

69:
Besitz stirbt,
Sippen sterben,
du selbst stirbst wie sie;
eins weiß ich,
das ewig lebt:
des Toten Tatenruhm.

Anmerkungen:
4 (1-Cool: Vor dem Essen wurde das Handwasser gereicht. Tischgruß, soviel wie Einladung zuzugreifen.. 17 (4-6): Das Fragen und Antworten ist die Verstandesprobe, der sich niemand entziehen kann. 20 (3): Im Winkel, d.h. an einem geborgenen Platz, wo er den prüfenden Fragen der Mitgäste entgeht. 25: Der Spottlustige soll sich wenigstens beizeiten davonmachen; dennn wer weiß, ob er nicht mit ernsthaften Feinden anbindet! 40 (4):Wörtlich:>die Gesinnung sollst du mit ihm mischen< - nicht nur das Blut wie beim Abschluß der Schwurbruderschaft. 42 (6): >Geld<, soviel wie Vergeltung. 60 (6): Schon in Str. 19 (6) aber dort viel der Blick auf den Thingbesuch nur aus der Ferne, hier verweilt noch die folgende Strophe dabei. 62: Holzmänner sind Pfähle mit eingeschnitztem Gesicht, wie sie als Wegemarke oder Grabzeichenn dienten. 66 (1): Hütet die Herde. (5): Gemeint ist die Leichenverbrennung. 67 (4,5): Unbehauene obeliskförmige Denksteine, mit oder ohne Runenschrift sind in den skandinavischen Ländern in Menge erhalten. (6): Gesippe, eigentlich Nachkomme.

Magiccircle
Moderator
Moderator

Anzahl der Beiträge : 93
Anmeldedatum : 29.05.11
Alter : 51
Ort : Offenburg

Nach oben Nach unten

Nach oben

- Ähnliche Themen

 
Befugnisse in diesem Forum
Sie können in diesem Forum nicht antworten