Die wilden Götter von Tor Age Bringsvaerd; Kapitel 6: Die Reise ans Ende der Welt
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Die wilden Götter von Tor Age Bringsvaerd; Kapitel 6: Die Reise ans Ende der Welt
Weit, weit drinnen in Jotunheim liegt eine große Burg, die in Fels und Eis gehauen ist. Nur im Sommer, wenn es taut, ist sie von Wald und grünen Wiesen umgeben. Dort herrscht der berühmte Geirröd. Er hat nur einen Kopf, der aber ist so groß und häßlich, daß nur seine beiden Töchter, die häßliche Greip, und die abscheuliche Galp, seinen Anblick ertragen können.
Wie die drei Riesen da oben sitzen und sich anglotzen, kommt auf einmal ein Falke geflogen. Der läßt sich hoch oben an der Mauer nieder und späht durch einen Spalt hinein.
> Fangt ihn! < ruft Geirröd; denn er hat sich schon lange einen Jagdfalken gewünscht, den er zähmen möchte, um ihn am Handgelenk zu halten auf der Jagd nach Hasen und anderem Kleinwild.
Die Töchter strecken sich nach der Decke, sie hüpfen und springen und steigen auf Leitern, aber umsonst, sie erreichen den Falken nicht. Der sitzt jetzt ganz oben auf dem Dachbalken, und es sieht ganz so aus, als mache er sich über die Riesentöchter lustig.
Als er aber fortfliegen will, merkt er, daß seine Klauen in einer Ritze festhängen. Der Vogel flattert und schreit, und nun sind es die Riesen, die ihn auslachen.
Geirröd packt ihn am Hals und sagt: > Du bist mir ein schöner Vogel, und ich glaube, du wirst mir viel Freude machen. <
Aber der Falke faßt ihn kalt ins Auge, und Geirröd erschrickt. > Du blickst mich nicht wie ein Vogel an <, sagt er. > Du trägst ein Federkleid, aber deine Augen verraten dich. <
Der Vogel schweigt. > Entweder bist du ein Mensch oder einer von den Asen, die sich einbilden, daß sie alles können und alles am besten wissen! <
Aber der Falke hält seinen Schnabel geschlossen. > Na ja <, grunzt Geirröd. > Ich habe Zeit. Früher oder später werde ich dich schon zum Reden bringen. < Und er sperrt den Falken in eine Truhe und wirft den steinernen Deckel zu.
All das sieht auch Odin, oder besser gesagt; er hätte es mit ansehen können. Denn wenn der Götterkönig auf seinem Thron sitzt, kann er die ganze Welt überblicken, und merken, was Asen und Trolle, Zwerge und Alben, Menschen und Tiere treiben. Aber es gibt Wichtigeres auf der Welt als einen Falken, der sich verflogen hat. Odin richtet sein Augenmerk auf die finsteren Mächte, die sich sammeln. Er denkt an den drohenden großen Krieg. Er hält Ausschau nach Hels Heerscharen aus dem Totenreich. Er verfolgt, wie eine Schlange, an der Wurzel der Weltesche nagt, und wie eine Riesin weit im Osten im Eisenwald immer mehr Junge wirft. Es sind Wölfe, die sie gebiert. Einer von ihnen heißt Skoll und jagt hinter der Sonne her, ein anderer heißt Hate und hetzt den Mond.
Odin hat die Welt erschaffen, und er ist ihr Schutzherr. Deswegen sucht er seinen Hochsitz auf und hält Ausschau. Von dort kann er alles shen, was er sehen will. Nur nicht alles auf einmal. Geirröd und dem Falken schenkt er keine Blick.
*
Drei Monate lang bekommt der Vogel weder Wasser noch Brot. Er sitzt im Dunkeln und schnappt nach Luft. Am Ende hält er es nicht länger aus. > Laßt mich raus! < ruft er. Da hebt Geirröd den Deckel, und wer sitzt in der Truhe? Kein anderer als Loki, einer der Asen, der noch dazu Odins Milchbruder ist.
> Wenn du schwörst, daß du nicht versuchst zu fliehen, und machst was, ich verlange, dann lasse ich dich raus <, brummt Geirröd. > Ich schwöre es <, anwortet Loki, richtet sich auf und streckt seine Glieder. Das zerfledderte Falkenkleid fällt von ihm ab und bleibt auf dem Boden der Truhe liegen.
*
Endlich bekommt der arme Gott etwas zu essen und zu trinken. Geirröd will wissen, was es in Asgard Neues gibt, und Loki berichtet ihm vom Klatsch der Götter. Der Riese schenkt ihm ein Glas nach dem andern ein, und bald ist Loki sturzbetrunken - kein Wunder nach seiner langen Hungerkur.
Sie sprechen von alten Zeiten. Damals herrschte noch eitel Freundschaft zwischen Asen undTrollen, und sie gingen miteinander zur Jagd und zum Fischen. > Aber wir sind die Ältesten < trumpft Geirröd auf.
> Die Riesen waren ja die allersten Geschöpfe. Unsere Sippe ist älter als die Berge und älter als das Meer. Hat er das vergessen, euer einäugiger Götterhäuptling? Hat er vergessen, wie wir einmal fast Blutsbrüder geworden wären, damals in der Urzeit, als die Riesenmutter Besla ihm ihre Zitzen hinhielt? <
> Davon wIll er schon lange nichts mehr hören <, seufzt Loki und Geirröd brüllt: > Dann solltet ihr euch lieber einen andern Häuptling wählen! Einen, der sich noch daran erinnern kann, wo er herkommt! Loki, wie wärs mit dir? Deine Eltern waren Trolle, und zwei von deinen Brüdern leben hier in Jotunheim. Du und kein anderer sollte König und Häuptling in Asgard sein! <
> Das meine ich auch <, greint Loki. Da fällt Geirröd ihm ins Wort: > Aber solange Thor, der Donnergott wie ein Wilder mit seinem verdammten Hammer herumtobt, kann es mit euch keinen Frieden geben. < - > Das meine ich auch <, seufzt Loki. > Trink noch ein bißchen Met <, sagt Geirröd und schenkt ihm nach. Doch da ist Loki schon eingeschlafen. Der Kopf ist ihm auf die Tischplatte gesunken, und er schnarcht so laut, daß der ganze Saal davon widerhallt.
Am andern Morgen fliegt Loki davon. > Aber vergiß nIcht, was du mir geschworen hast <, ermahnt ihn Geirröd. > Habe ich dir etwas geschworen? < fragt Loki, denn er kann sich an nichts erinnern, so dröhnt ihm der Schädel. > Ich habe versprochen, dir zu helfen, damit du König in Asgard wirst <, sagt Geirröd ernst. > Und dafür hast du versprochen, daß du mir Thor herbeischleppst - wie, das ist deine Sache! - damit ich ihm alle Knochen brechen und ihn einsperren kann, in dieselbe steinerne Truhe, in der du so lange gewohnt hast.
Und Geirröd droht ihm mit seinem Zeigefinger, der voller Warzen ist: > daß er mir aber ja ohne seinen Hammer kommt, und ohne seinen Zaubergürtel, und ohne seine eisernen Handschuhe! <
> Das soll ich dir versprochen haben? < fragt Loki und wird bleich. > Du hast es geschworen <, knurrt Geirröd, und seine beiden Töchter nicken dazu; sie seien dabeigewesen, sie hätten es selbst gehört, sie seien Zeugen.
Auf dem Heimweg fliegt Loki vorsichtig und nur knapp über den Baumwipfeln, denn er hat einen gewaltigen Kater. Was habe ich nur getan, denkt er. Doch er weiß auch: Versprochen ist versprochen. Derjenige, der seinen Eid bricht, hat den Tod verdient. So hat Odin es bestimmt.
*
Als Loki nach Hause kommt, mit kalten Füßen und Reif am Schnabel, wird er von Sygin, seiner Frau, und seinen Söhnen freudig empfangen. Sie sind erleichtert, ihn nach so langer Zeit wiederzusehen. Aber niemand fragt ihn, wo er sich aufgehalten hat. Sie sind daran gewöhnt, daß Loki kommt und geht, wie es ihm paßt, und daß er nie mehr erzählt, als er will. Diesmal aber sagt er nichts.
Am andern Tag schleicht er sich in die große Küche von Walhall, um sich umzuhören. Neugierig war Loki schon imme, und er weiß, daß es die Köche und die Mägde sind, die man fragen muß, wenn man erfahren will, was es am Sitz der Götter Neues gibt. Zum Beispiel, daß Thor gerade von einer Seefahrt heimgekehrt ist, mit ein paar bösen Schrammen, weil ihn auf einer Insel im Nordmeer eine Horde von Wolfsfrauen mit Eisenstangen überfallen hat.
Aber auch aus Mitgard gibt es Neuigkeiten. Die Dienstboten haben gehört, daß imer mehr Huldren auftauchen, die die Menschen aufsuchen und allerlei Unheil stiften. Alle schütteln den Kopf und fragen sich, was wohl aus dem Menschengeschlecht werden soll, wenn das so weiterginge. Vielleicht würden die Leute in Mitgard bald selber wie die Huldren aussehen, mit langen Kuhschwänzen und einem Rücken, der so hohl war wie ein Viehtrog?
> Ach was <, sagt Loki und steht auf. > Soweit kann es nicht kommen, genausowenig wie die Menschen je zu Göttern werden. Und es ist schließlich kein Wunder, daß sich Gegensätze anziehen, auch wenn es Odin nicht paßt. Er will uns verbieten in Jotunheim Liebkosungen zu sammeln, wie wir es seit eh und je getan haben.. <
> Vielleicht will er die Riesentöchter nur für sich behalten <, grinst einer der Küchenjungen. > Das glabe ich kaum <, sagt ein anderer. > Es ist ja schon ewig her, daß der einäugige Ziegenbock, dort in Jotunheim ins Bettstroh gehüpft ist. <
> Früher <, ruft Loki, > da war Odin der geilste und wildeste von uns allen. < - >Oh <, sagt eine von den Mägden, > feurig und verrückt ist er immer noch. < Es ist das Kammermädchen, das bei Frigga im Dienst steht, Odins Frau, und sie weiß alles, was im Haus der Häuptlinge vorgeht. > Jedesmal, wenn es ihm paßt, verschwindet er ein paar Tage lang. Dann geht er nach Mitgard zu den Menschentöchtern. Wenn ihr wüßtet, wie er sich aufführt, sobald er merkt, daß er sich nicht mehr beherrschen kann! < Sie wird rot und schlägt die Augen nieder. > So wie damals, als er sich an die Tochter von Billing herangemacht hat <, lacht der Koch und trocknet sich die Hände an der Schürze ab. > Ich weiß nicht mehr, von wem ich es gehört habe, aber jedenfalls hat sich unser Odin bei dieser Gelegenheit ziemlich blamiert. Er hat sich bei ihr eingeschmeichelt. Als er aber wie verabredet, zum Stelldichein kam, hitzig wie ein Ofen und geil wie ein Stier, da stürmten plötzlich ein paar Krieger mit brennenden Fackeln ins Schlafzimmer und fielen über ihn her. Sie hatte eben noch Zeit ihm ins Ohr zu flüstern: > Komm wieder,mein Schatz, wenn sie fort sind. Und er ist darauf hereingefallen. Er verband seine Wunden und wartete draußen bis zum ersten Hahnenschrei. Dann schlich er sich über den Hof, an den schlafenden Wächtern vorbei, ins Haus und in ihr Bett. Es war ganz dunkel im Zimmer. Er flüsterte ihr heiße Worte ins Ohr, doch er konnte nicht sehen, wen er umarmte. Aber dann merkte er doch, daß es nicht Billings Tochter war, was sich dort auf dem Fell drehte und wand - sondern eine große Hündin, die man an den Bettpfosten angebunden hatte.. und von allen Seiten hörte er Gekicher und Gelächter. < Jetzt lacht auch der Koch und schlägt sich mit der großen Holzkeule auf die Schenkel. > Das hatte er nun davon! <
> Eine scheußliche Geschichte <, sagt Loki und spuckt auf den Boden. > Mir wird ganz schlecht, wenn ich hören muß, wie sich die Götter mit den Menschen einlassen.Das sind doch Wesen, die wir selbst erschaffen haben, kleines Kroppzeug, das wir nur in die Welt setzten, weil uns langweilig war. Mit denen ins Bett zu gehen, daß ist nicht viel besser, als schliefe man mit den eigenen Kindern.
> Sehr richtig! Einverstanden! < rufen die Köche, die Mägde und die Kammermädchen. > Dagegen die Riesen! Das ist etwas anderes. Die sind wie wir, die sind uns ebenbürtig. Mit einer Riesentochter ginge ich allemal ins Bett. <
> Aber Odin kann die Riesen nicht leiden. Er will nichts mehr mit ihnen zu tun haben, und wir, sagt er, sollen gefälligst auch die Finger von ihnen lassen. <
> Der soll vor seiner eigenen Tür kehren<, antwortet Loki. > Und wir sind schön feige, wenn wir es nicht wagen, ihm zu widersprechen. Erst gestern bin ich von einem Besuch bei Geirröd nach Hause gekommen. Das ist ein erstklassiger Riese, und auf seinem Hof leben zwei der herrlichsten Geschöpfe, auf die je der Mond geschienen hat. Das sind seine Töchter, die zarte Greip und die schöne Galp. Mich wollten sie ja leider nicht haben, und ich weiß auch von anderen Freiern, denen sie die Tür gewiesen haben. Die beiden Schwestern träumen nämlich von ein und demselben Mann. <
> Von wem denn?< rufen die Mägde wie aus einem Mund. > Ist es jemand, den wir kennen?< Loki sieht sich triumphierend um , und erst nach einer langen Pause sagt er leise: > Es ist Thor, der Donnergott. Ihn wollen sie haben und keinen anderen. Und sie haben sich in den Kopf gesetzt, ihn zu teilen, so lange, wie er es aushält. Aber wir wissen ja, was aus ihm geworden ist. Ein Angsthase, der einknickt, sobald Odin, mit den Fingern schnippt. Also werden die beiden Mädchen wohl Jungfrauen bleiben, bis ihnen das Moos zwischen den Beinen wächst. Aber er weiß nicht, was er sich da entgehen läßt, der Dummkopf.<
Loki lacht höhnisch, rollt mit den Augen und schnalzt mit der Zunge wie ein Kenner, und dann geht er ohne ein weiteres Wort nach Hause. Denn er weiß genau, daß kein Tag vergehen wird, bis die Mägde herumgetrascht haben, was er ihnen anvertraut hat, und bald würde es Thor zu Ohren kommen.
Und richtig, als Loki am andern Morgen, munter vor sich hin pfeifend, über den Hof geht, da springt ein Riese mit rotem Bard und wirrem Haar vor ihm aus dem Gebüsch und brüllt. > Wer behauptet hier, daß ich ein Angsthase bin?< Es ist Thor. > Ich doch nicht< , flötet Loki. > Das muß ein Mißverständnis sein. Ich habe genau das Gegenteil gesagt. Thor, habe ich gesacht, der ist nicht wie die anderen. Der läßt sich nicht von Odin herumkommandieren. Den führt keiner an der Leine! Er ist schließich der Donnergott, der keinen fragt, wen er umarmen darf. < Und Loki redet so lange auf ihn ein, bis er Thor besänftigt hat.
> Du hast recht<, sagt der Donnergott schließlich. > Ich mache, was ich will, und ich will sie nun einmal haben, diese beiden Schwestern. Noch heute Nacht breche ich auf nach Jotunheim. Mein Knecht Tjalve soll mich begleiten. Und du Loki, kommst auch mit und zeigst mir den Weg.<
> Aber du darfst deinen Hammer nicht mitnehmen, und auch den Zaubergürtel und die eisernen Handschuhe mußt du zu Hause lassen, denn so war es mit Geirröd abgemacht. <
*
Gesagt, getan. Sie reiten heimlich in die Dunkelheit hinaus, damit niemand erfahren soll, was sie vorhaben. Aber der Weg nach Jotunheim ist weit, und so müssen sie auf halbem Weg bei einer Riesin namens Grid übernachten, die den Asen wohlgesinnt ist. Als sie hört, wo sie hinwollen, runzelt die Gastwirtin die Stirn. > Dieser Geirröd< , sagt sie, > ist ein schlauer Hund. Er hat es faustdick hinter den Ohren. Wo hast du denn deinen Hammer gelassen, den Gürtel und die Handschuhe?< Und als sie hört, daß er mit bloßen Händen gekommen ist, schüttelt sie den Kopf. > Was fällt dir ein? Zu Geirröds Töchtern willst du? Daß die so schön sein sollen, ist mir neu. Aber bitte! Jedem seine Lust., ich will nichts gesagt haben. Nur, wie soll ich Odin unter die Augen treten, wenn ich dich mit leeren Händen zu den Riesen gehen lasse? Das ist unmöglich. Wenn du willst, borge ich dir ein paar Sachen, die ich hier im Schrank habe.< Und sie gibt ihm ihren Zaubergürtel, ihren Stab und ein Paar eiserne Handschuhe.
Am andern Morgen kommen die drei zu einem Fluß, der unbegreiflich breit ist. Ihre Pferde müssen sie am Ufer zurücklassen und hinüberwaten. Zum Glück ist der Fluß ziemlich seicht, aber die Strömung ist stark, und es gibt gefährliche Schnellen. Thor stützt sich auf den Stab, den Grid ihm geliehen hat, und Loki und Tjalve halten sich an seinem Gürtel fest. Aber als sie in der Mitte des Flusses angekommen sind, fängt das Wasser an zu steigen.
Thor schaut sich um. Was ist geschehen? Weiter oben, wo der Fluß durch eine enge Klamm führt, steht Galp, eine von Geirröds Töchtern, mit einem Bein auf beiden Seiten der Kluft und läßt ihr Wasser rinnen. Da hebt Thor einen riesigen Felsbrocken aus der Flut, zielt, wirft und trifft mitten ins Ziel. Aber unterdessen ist das Wasser so gestiegen, daß sie das Gleichgewicht verlieren. Die Strömung reißt sie fort, sie taumeln und rudern mit Armen und Beinen. Endlich gelingt es ihnen, am andern Ufer Fuß zu fassen, wo ein Vogelbeerbaum steht. Thor ergreift ihn und zieht die beiden anderen an Land.
Nach ein paar Stunden kommen sie endlich ganz durchnäßt auf Geirröds Hof an. Der Hausherr heißt sie willkommen und weist ihnen das Gästehaus zur Unterkunft an. Dort ist es kalt und dreckig, und es gibt nur einen einzigen Stuhl zum Sitzen. Thor ist einigermaßen überrascht, aber Loki lacht nur und zuckt mit den Schultern. Doch als Thor sich setzen will, merkt er, daß der Stuhl sich unter ihm rührt und zur Decke steigt. Was kann das sein? Er greift nach dem Stab, dem Grid ihm geliehen hat, und stemmt ihn mit aller Kraft gegen die Dachbalken, bis er wieder auf dem Boden gelandet ist. Da hört er ein knirschendes Geräusch und einen lauten Schrei. Das waren Galp und Greip, die beiden Töchter, die sich unter dem Stuhl versteckt hatten. Thor hat sie derart zusammengequetscht, daß sie mit verstauchtem Rücken hervorkriechen.
Tjalve schaut die beiden an und verzieht das Gesicht. > Wegen diesen beiden sind wir den langen Weg gekommen?< sagt er. > Na ja< , gibt Loki zur Antwort, > das ist wohl Geschmackssache.< Aber man merkt ihm an, daß ihm bei dem Ganzen nicht wohl ist; denn auch Thor runzelt jetzt die Stirn, und es ist klar, daß er Loki am liebsten eins mit dem Hammer über den Schädel gegeben hätte. Aber seinen Hammer hat er ja nicht dabei. Ein Diener kommt und meldet, daß Geirröd wünscht, seine Gäste im großen Saal zu sehen. Und zwar will er sie zu einem Kräftemessen einladen. An der Längswand hat er ein riesiges Feuer anzünden lassen, und er selbst sitzt am anderen Ende des Saals und wartet auf Thor, der ihm, ohne eine Miene zu verziehen, entgegengeht. Plötzlich nimmt der Riese eine Zange zur Hand, holt ein glühendes Eisen aus dem Feuer und schleudert es Thor entgegen. Aber der Donnergott hat eiserne Handschuhe an und fängt den feurigen Brocken auf, als wäre es ein Ball. Geirröd will sich hinter einem Balken verstecken, aber zu spät! Thor wirft die glühende Kugel zurück, mit solcher Wucht, daß das Metall durch den Balken schlägt, ein Loch durch Geirröd brennt und durch die Wand nach draußen fliegt.
> Hier haben wir nichts mehr verloren< , brummt Thor. > Und das war das letzte Mal, daß ich auf dich gehört habe, Loki, ganz gleich, ob du mir eine Liebschaft einreden willst oder einen anderen von deinen Tricks probierst!<
> Schade, daß du es so siehst< , murmelt Loki. > Obwohl ich, wie gesagt, finde, daß...<
> Halt das Maul!< brüllt Thor. Aber so schlecht gelaunt, wie er sich anhört, ist er gar nicht. Denn nichts auf der Welt, gefällt dem Donnergott besser als eine richtige Rauferei.
So endete Lokis Gefangenschaft und Thors Brautschau, und niemand soll sagen, daß es zu ihren Zeiten soviel friedlicher als heute zugegangen ist auf der Welt.
*
Wie die drei Riesen da oben sitzen und sich anglotzen, kommt auf einmal ein Falke geflogen. Der läßt sich hoch oben an der Mauer nieder und späht durch einen Spalt hinein.
> Fangt ihn! < ruft Geirröd; denn er hat sich schon lange einen Jagdfalken gewünscht, den er zähmen möchte, um ihn am Handgelenk zu halten auf der Jagd nach Hasen und anderem Kleinwild.
Die Töchter strecken sich nach der Decke, sie hüpfen und springen und steigen auf Leitern, aber umsonst, sie erreichen den Falken nicht. Der sitzt jetzt ganz oben auf dem Dachbalken, und es sieht ganz so aus, als mache er sich über die Riesentöchter lustig.
Als er aber fortfliegen will, merkt er, daß seine Klauen in einer Ritze festhängen. Der Vogel flattert und schreit, und nun sind es die Riesen, die ihn auslachen.
Geirröd packt ihn am Hals und sagt: > Du bist mir ein schöner Vogel, und ich glaube, du wirst mir viel Freude machen. <
Aber der Falke faßt ihn kalt ins Auge, und Geirröd erschrickt. > Du blickst mich nicht wie ein Vogel an <, sagt er. > Du trägst ein Federkleid, aber deine Augen verraten dich. <
Der Vogel schweigt. > Entweder bist du ein Mensch oder einer von den Asen, die sich einbilden, daß sie alles können und alles am besten wissen! <
Aber der Falke hält seinen Schnabel geschlossen. > Na ja <, grunzt Geirröd. > Ich habe Zeit. Früher oder später werde ich dich schon zum Reden bringen. < Und er sperrt den Falken in eine Truhe und wirft den steinernen Deckel zu.
All das sieht auch Odin, oder besser gesagt; er hätte es mit ansehen können. Denn wenn der Götterkönig auf seinem Thron sitzt, kann er die ganze Welt überblicken, und merken, was Asen und Trolle, Zwerge und Alben, Menschen und Tiere treiben. Aber es gibt Wichtigeres auf der Welt als einen Falken, der sich verflogen hat. Odin richtet sein Augenmerk auf die finsteren Mächte, die sich sammeln. Er denkt an den drohenden großen Krieg. Er hält Ausschau nach Hels Heerscharen aus dem Totenreich. Er verfolgt, wie eine Schlange, an der Wurzel der Weltesche nagt, und wie eine Riesin weit im Osten im Eisenwald immer mehr Junge wirft. Es sind Wölfe, die sie gebiert. Einer von ihnen heißt Skoll und jagt hinter der Sonne her, ein anderer heißt Hate und hetzt den Mond.
Odin hat die Welt erschaffen, und er ist ihr Schutzherr. Deswegen sucht er seinen Hochsitz auf und hält Ausschau. Von dort kann er alles shen, was er sehen will. Nur nicht alles auf einmal. Geirröd und dem Falken schenkt er keine Blick.
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Drei Monate lang bekommt der Vogel weder Wasser noch Brot. Er sitzt im Dunkeln und schnappt nach Luft. Am Ende hält er es nicht länger aus. > Laßt mich raus! < ruft er. Da hebt Geirröd den Deckel, und wer sitzt in der Truhe? Kein anderer als Loki, einer der Asen, der noch dazu Odins Milchbruder ist.
> Wenn du schwörst, daß du nicht versuchst zu fliehen, und machst was, ich verlange, dann lasse ich dich raus <, brummt Geirröd. > Ich schwöre es <, anwortet Loki, richtet sich auf und streckt seine Glieder. Das zerfledderte Falkenkleid fällt von ihm ab und bleibt auf dem Boden der Truhe liegen.
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Endlich bekommt der arme Gott etwas zu essen und zu trinken. Geirröd will wissen, was es in Asgard Neues gibt, und Loki berichtet ihm vom Klatsch der Götter. Der Riese schenkt ihm ein Glas nach dem andern ein, und bald ist Loki sturzbetrunken - kein Wunder nach seiner langen Hungerkur.
Sie sprechen von alten Zeiten. Damals herrschte noch eitel Freundschaft zwischen Asen undTrollen, und sie gingen miteinander zur Jagd und zum Fischen. > Aber wir sind die Ältesten < trumpft Geirröd auf.
> Die Riesen waren ja die allersten Geschöpfe. Unsere Sippe ist älter als die Berge und älter als das Meer. Hat er das vergessen, euer einäugiger Götterhäuptling? Hat er vergessen, wie wir einmal fast Blutsbrüder geworden wären, damals in der Urzeit, als die Riesenmutter Besla ihm ihre Zitzen hinhielt? <
> Davon wIll er schon lange nichts mehr hören <, seufzt Loki und Geirröd brüllt: > Dann solltet ihr euch lieber einen andern Häuptling wählen! Einen, der sich noch daran erinnern kann, wo er herkommt! Loki, wie wärs mit dir? Deine Eltern waren Trolle, und zwei von deinen Brüdern leben hier in Jotunheim. Du und kein anderer sollte König und Häuptling in Asgard sein! <
> Das meine ich auch <, greint Loki. Da fällt Geirröd ihm ins Wort: > Aber solange Thor, der Donnergott wie ein Wilder mit seinem verdammten Hammer herumtobt, kann es mit euch keinen Frieden geben. < - > Das meine ich auch <, seufzt Loki. > Trink noch ein bißchen Met <, sagt Geirröd und schenkt ihm nach. Doch da ist Loki schon eingeschlafen. Der Kopf ist ihm auf die Tischplatte gesunken, und er schnarcht so laut, daß der ganze Saal davon widerhallt.
Am andern Morgen fliegt Loki davon. > Aber vergiß nIcht, was du mir geschworen hast <, ermahnt ihn Geirröd. > Habe ich dir etwas geschworen? < fragt Loki, denn er kann sich an nichts erinnern, so dröhnt ihm der Schädel. > Ich habe versprochen, dir zu helfen, damit du König in Asgard wirst <, sagt Geirröd ernst. > Und dafür hast du versprochen, daß du mir Thor herbeischleppst - wie, das ist deine Sache! - damit ich ihm alle Knochen brechen und ihn einsperren kann, in dieselbe steinerne Truhe, in der du so lange gewohnt hast.
Und Geirröd droht ihm mit seinem Zeigefinger, der voller Warzen ist: > daß er mir aber ja ohne seinen Hammer kommt, und ohne seinen Zaubergürtel, und ohne seine eisernen Handschuhe! <
> Das soll ich dir versprochen haben? < fragt Loki und wird bleich. > Du hast es geschworen <, knurrt Geirröd, und seine beiden Töchter nicken dazu; sie seien dabeigewesen, sie hätten es selbst gehört, sie seien Zeugen.
Auf dem Heimweg fliegt Loki vorsichtig und nur knapp über den Baumwipfeln, denn er hat einen gewaltigen Kater. Was habe ich nur getan, denkt er. Doch er weiß auch: Versprochen ist versprochen. Derjenige, der seinen Eid bricht, hat den Tod verdient. So hat Odin es bestimmt.
*
Als Loki nach Hause kommt, mit kalten Füßen und Reif am Schnabel, wird er von Sygin, seiner Frau, und seinen Söhnen freudig empfangen. Sie sind erleichtert, ihn nach so langer Zeit wiederzusehen. Aber niemand fragt ihn, wo er sich aufgehalten hat. Sie sind daran gewöhnt, daß Loki kommt und geht, wie es ihm paßt, und daß er nie mehr erzählt, als er will. Diesmal aber sagt er nichts.
Am andern Tag schleicht er sich in die große Küche von Walhall, um sich umzuhören. Neugierig war Loki schon imme, und er weiß, daß es die Köche und die Mägde sind, die man fragen muß, wenn man erfahren will, was es am Sitz der Götter Neues gibt. Zum Beispiel, daß Thor gerade von einer Seefahrt heimgekehrt ist, mit ein paar bösen Schrammen, weil ihn auf einer Insel im Nordmeer eine Horde von Wolfsfrauen mit Eisenstangen überfallen hat.
Aber auch aus Mitgard gibt es Neuigkeiten. Die Dienstboten haben gehört, daß imer mehr Huldren auftauchen, die die Menschen aufsuchen und allerlei Unheil stiften. Alle schütteln den Kopf und fragen sich, was wohl aus dem Menschengeschlecht werden soll, wenn das so weiterginge. Vielleicht würden die Leute in Mitgard bald selber wie die Huldren aussehen, mit langen Kuhschwänzen und einem Rücken, der so hohl war wie ein Viehtrog?
> Ach was <, sagt Loki und steht auf. > Soweit kann es nicht kommen, genausowenig wie die Menschen je zu Göttern werden. Und es ist schließlich kein Wunder, daß sich Gegensätze anziehen, auch wenn es Odin nicht paßt. Er will uns verbieten in Jotunheim Liebkosungen zu sammeln, wie wir es seit eh und je getan haben.. <
> Vielleicht will er die Riesentöchter nur für sich behalten <, grinst einer der Küchenjungen. > Das glabe ich kaum <, sagt ein anderer. > Es ist ja schon ewig her, daß der einäugige Ziegenbock, dort in Jotunheim ins Bettstroh gehüpft ist. <
> Früher <, ruft Loki, > da war Odin der geilste und wildeste von uns allen. < - >Oh <, sagt eine von den Mägden, > feurig und verrückt ist er immer noch. < Es ist das Kammermädchen, das bei Frigga im Dienst steht, Odins Frau, und sie weiß alles, was im Haus der Häuptlinge vorgeht. > Jedesmal, wenn es ihm paßt, verschwindet er ein paar Tage lang. Dann geht er nach Mitgard zu den Menschentöchtern. Wenn ihr wüßtet, wie er sich aufführt, sobald er merkt, daß er sich nicht mehr beherrschen kann! < Sie wird rot und schlägt die Augen nieder. > So wie damals, als er sich an die Tochter von Billing herangemacht hat <, lacht der Koch und trocknet sich die Hände an der Schürze ab. > Ich weiß nicht mehr, von wem ich es gehört habe, aber jedenfalls hat sich unser Odin bei dieser Gelegenheit ziemlich blamiert. Er hat sich bei ihr eingeschmeichelt. Als er aber wie verabredet, zum Stelldichein kam, hitzig wie ein Ofen und geil wie ein Stier, da stürmten plötzlich ein paar Krieger mit brennenden Fackeln ins Schlafzimmer und fielen über ihn her. Sie hatte eben noch Zeit ihm ins Ohr zu flüstern: > Komm wieder,mein Schatz, wenn sie fort sind. Und er ist darauf hereingefallen. Er verband seine Wunden und wartete draußen bis zum ersten Hahnenschrei. Dann schlich er sich über den Hof, an den schlafenden Wächtern vorbei, ins Haus und in ihr Bett. Es war ganz dunkel im Zimmer. Er flüsterte ihr heiße Worte ins Ohr, doch er konnte nicht sehen, wen er umarmte. Aber dann merkte er doch, daß es nicht Billings Tochter war, was sich dort auf dem Fell drehte und wand - sondern eine große Hündin, die man an den Bettpfosten angebunden hatte.. und von allen Seiten hörte er Gekicher und Gelächter. < Jetzt lacht auch der Koch und schlägt sich mit der großen Holzkeule auf die Schenkel. > Das hatte er nun davon! <
> Eine scheußliche Geschichte <, sagt Loki und spuckt auf den Boden. > Mir wird ganz schlecht, wenn ich hören muß, wie sich die Götter mit den Menschen einlassen.Das sind doch Wesen, die wir selbst erschaffen haben, kleines Kroppzeug, das wir nur in die Welt setzten, weil uns langweilig war. Mit denen ins Bett zu gehen, daß ist nicht viel besser, als schliefe man mit den eigenen Kindern.
> Sehr richtig! Einverstanden! < rufen die Köche, die Mägde und die Kammermädchen. > Dagegen die Riesen! Das ist etwas anderes. Die sind wie wir, die sind uns ebenbürtig. Mit einer Riesentochter ginge ich allemal ins Bett. <
> Aber Odin kann die Riesen nicht leiden. Er will nichts mehr mit ihnen zu tun haben, und wir, sagt er, sollen gefälligst auch die Finger von ihnen lassen. <
> Der soll vor seiner eigenen Tür kehren<, antwortet Loki. > Und wir sind schön feige, wenn wir es nicht wagen, ihm zu widersprechen. Erst gestern bin ich von einem Besuch bei Geirröd nach Hause gekommen. Das ist ein erstklassiger Riese, und auf seinem Hof leben zwei der herrlichsten Geschöpfe, auf die je der Mond geschienen hat. Das sind seine Töchter, die zarte Greip und die schöne Galp. Mich wollten sie ja leider nicht haben, und ich weiß auch von anderen Freiern, denen sie die Tür gewiesen haben. Die beiden Schwestern träumen nämlich von ein und demselben Mann. <
> Von wem denn?< rufen die Mägde wie aus einem Mund. > Ist es jemand, den wir kennen?< Loki sieht sich triumphierend um , und erst nach einer langen Pause sagt er leise: > Es ist Thor, der Donnergott. Ihn wollen sie haben und keinen anderen. Und sie haben sich in den Kopf gesetzt, ihn zu teilen, so lange, wie er es aushält. Aber wir wissen ja, was aus ihm geworden ist. Ein Angsthase, der einknickt, sobald Odin, mit den Fingern schnippt. Also werden die beiden Mädchen wohl Jungfrauen bleiben, bis ihnen das Moos zwischen den Beinen wächst. Aber er weiß nicht, was er sich da entgehen läßt, der Dummkopf.<
Loki lacht höhnisch, rollt mit den Augen und schnalzt mit der Zunge wie ein Kenner, und dann geht er ohne ein weiteres Wort nach Hause. Denn er weiß genau, daß kein Tag vergehen wird, bis die Mägde herumgetrascht haben, was er ihnen anvertraut hat, und bald würde es Thor zu Ohren kommen.
Und richtig, als Loki am andern Morgen, munter vor sich hin pfeifend, über den Hof geht, da springt ein Riese mit rotem Bard und wirrem Haar vor ihm aus dem Gebüsch und brüllt. > Wer behauptet hier, daß ich ein Angsthase bin?< Es ist Thor. > Ich doch nicht< , flötet Loki. > Das muß ein Mißverständnis sein. Ich habe genau das Gegenteil gesagt. Thor, habe ich gesacht, der ist nicht wie die anderen. Der läßt sich nicht von Odin herumkommandieren. Den führt keiner an der Leine! Er ist schließich der Donnergott, der keinen fragt, wen er umarmen darf. < Und Loki redet so lange auf ihn ein, bis er Thor besänftigt hat.
> Du hast recht<, sagt der Donnergott schließlich. > Ich mache, was ich will, und ich will sie nun einmal haben, diese beiden Schwestern. Noch heute Nacht breche ich auf nach Jotunheim. Mein Knecht Tjalve soll mich begleiten. Und du Loki, kommst auch mit und zeigst mir den Weg.<
> Aber du darfst deinen Hammer nicht mitnehmen, und auch den Zaubergürtel und die eisernen Handschuhe mußt du zu Hause lassen, denn so war es mit Geirröd abgemacht. <
*
Gesagt, getan. Sie reiten heimlich in die Dunkelheit hinaus, damit niemand erfahren soll, was sie vorhaben. Aber der Weg nach Jotunheim ist weit, und so müssen sie auf halbem Weg bei einer Riesin namens Grid übernachten, die den Asen wohlgesinnt ist. Als sie hört, wo sie hinwollen, runzelt die Gastwirtin die Stirn. > Dieser Geirröd< , sagt sie, > ist ein schlauer Hund. Er hat es faustdick hinter den Ohren. Wo hast du denn deinen Hammer gelassen, den Gürtel und die Handschuhe?< Und als sie hört, daß er mit bloßen Händen gekommen ist, schüttelt sie den Kopf. > Was fällt dir ein? Zu Geirröds Töchtern willst du? Daß die so schön sein sollen, ist mir neu. Aber bitte! Jedem seine Lust., ich will nichts gesagt haben. Nur, wie soll ich Odin unter die Augen treten, wenn ich dich mit leeren Händen zu den Riesen gehen lasse? Das ist unmöglich. Wenn du willst, borge ich dir ein paar Sachen, die ich hier im Schrank habe.< Und sie gibt ihm ihren Zaubergürtel, ihren Stab und ein Paar eiserne Handschuhe.
Am andern Morgen kommen die drei zu einem Fluß, der unbegreiflich breit ist. Ihre Pferde müssen sie am Ufer zurücklassen und hinüberwaten. Zum Glück ist der Fluß ziemlich seicht, aber die Strömung ist stark, und es gibt gefährliche Schnellen. Thor stützt sich auf den Stab, den Grid ihm geliehen hat, und Loki und Tjalve halten sich an seinem Gürtel fest. Aber als sie in der Mitte des Flusses angekommen sind, fängt das Wasser an zu steigen.
Thor schaut sich um. Was ist geschehen? Weiter oben, wo der Fluß durch eine enge Klamm führt, steht Galp, eine von Geirröds Töchtern, mit einem Bein auf beiden Seiten der Kluft und läßt ihr Wasser rinnen. Da hebt Thor einen riesigen Felsbrocken aus der Flut, zielt, wirft und trifft mitten ins Ziel. Aber unterdessen ist das Wasser so gestiegen, daß sie das Gleichgewicht verlieren. Die Strömung reißt sie fort, sie taumeln und rudern mit Armen und Beinen. Endlich gelingt es ihnen, am andern Ufer Fuß zu fassen, wo ein Vogelbeerbaum steht. Thor ergreift ihn und zieht die beiden anderen an Land.
Nach ein paar Stunden kommen sie endlich ganz durchnäßt auf Geirröds Hof an. Der Hausherr heißt sie willkommen und weist ihnen das Gästehaus zur Unterkunft an. Dort ist es kalt und dreckig, und es gibt nur einen einzigen Stuhl zum Sitzen. Thor ist einigermaßen überrascht, aber Loki lacht nur und zuckt mit den Schultern. Doch als Thor sich setzen will, merkt er, daß der Stuhl sich unter ihm rührt und zur Decke steigt. Was kann das sein? Er greift nach dem Stab, dem Grid ihm geliehen hat, und stemmt ihn mit aller Kraft gegen die Dachbalken, bis er wieder auf dem Boden gelandet ist. Da hört er ein knirschendes Geräusch und einen lauten Schrei. Das waren Galp und Greip, die beiden Töchter, die sich unter dem Stuhl versteckt hatten. Thor hat sie derart zusammengequetscht, daß sie mit verstauchtem Rücken hervorkriechen.
Tjalve schaut die beiden an und verzieht das Gesicht. > Wegen diesen beiden sind wir den langen Weg gekommen?< sagt er. > Na ja< , gibt Loki zur Antwort, > das ist wohl Geschmackssache.< Aber man merkt ihm an, daß ihm bei dem Ganzen nicht wohl ist; denn auch Thor runzelt jetzt die Stirn, und es ist klar, daß er Loki am liebsten eins mit dem Hammer über den Schädel gegeben hätte. Aber seinen Hammer hat er ja nicht dabei. Ein Diener kommt und meldet, daß Geirröd wünscht, seine Gäste im großen Saal zu sehen. Und zwar will er sie zu einem Kräftemessen einladen. An der Längswand hat er ein riesiges Feuer anzünden lassen, und er selbst sitzt am anderen Ende des Saals und wartet auf Thor, der ihm, ohne eine Miene zu verziehen, entgegengeht. Plötzlich nimmt der Riese eine Zange zur Hand, holt ein glühendes Eisen aus dem Feuer und schleudert es Thor entgegen. Aber der Donnergott hat eiserne Handschuhe an und fängt den feurigen Brocken auf, als wäre es ein Ball. Geirröd will sich hinter einem Balken verstecken, aber zu spät! Thor wirft die glühende Kugel zurück, mit solcher Wucht, daß das Metall durch den Balken schlägt, ein Loch durch Geirröd brennt und durch die Wand nach draußen fliegt.
> Hier haben wir nichts mehr verloren< , brummt Thor. > Und das war das letzte Mal, daß ich auf dich gehört habe, Loki, ganz gleich, ob du mir eine Liebschaft einreden willst oder einen anderen von deinen Tricks probierst!<
> Schade, daß du es so siehst< , murmelt Loki. > Obwohl ich, wie gesagt, finde, daß...<
> Halt das Maul!< brüllt Thor. Aber so schlecht gelaunt, wie er sich anhört, ist er gar nicht. Denn nichts auf der Welt, gefällt dem Donnergott besser als eine richtige Rauferei.
So endete Lokis Gefangenschaft und Thors Brautschau, und niemand soll sagen, daß es zu ihren Zeiten soviel friedlicher als heute zugegangen ist auf der Welt.
*
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